RechtIst die Praxisvertretung sozialversicherungspflichtig?

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Im Fall der Vertretung des Praxisinhabers bei Krankheit oder Urlaub stellt sich die Frage, ob die Tätigkeit des Vertreters sozialversicherungspflichtig ist. Das Landesarbeitsgericht Köln (LAG), Beschl. v. 06.05.2022, 9 Ta 18/22, hat entschieden, dass Vertreter, die ohne eigenes unternehmerisches Risiko gegen Zahlung einer Festvergütung und mit der Verpflichtung, vorgegebene Arbeitszeiten einzuhalten, die Vertretung einer niedergelassenen Kollegin oder eines Kollegen übernehmen, Arbeitnehmer*innen sind und deshalb Sozialversicherungsbeiträge abzuführen sind.

 

Der Fall:

In dem Fall des LAG Köln schloss der Kläger, Facharzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten, mit der Beklagten, einer Fachärztin für Dermatologie einen durch die Erkrankung der Beklagten veranlassten Praxisvertretungsvertrag. Laut Vertrag sollte der Kläger die Beklagte auf deren Rechnung in ihrer Praxis für einen Zeitraum von ca. 3 Monaten zu einem Stundensatz von 100,00 EUR und einer Prämie in Höhe von 50 % des erbrachten oder verordneten IGeL-Umsatzes vertreten. Der Kläger sollte laut Vertrag ausdrücklich nicht als Angestellter, sondern freiberuflich tätig werden und die Steuern und Sozialbeiträge selbst abführen. Zudem wurden die Arbeits- und Pausenzeiten des Klägers detailliert vertraglich geregelt. Für eventuelle Streitigkeiten vereinbarten die Parteien den ordentlichen Rechtsweg.

Die Beklagte kündigte dem Kläger vorzeitig außerordentlich. Daraufhin erhob der Kläger Klage vor dem Arbeitsgericht (AG) Köln und begehrte u.a. die Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien aus dem Praxisvertretungsvertrag nicht durch die fristlose Kündigung der Beklagten und auch nicht durch andere Kündigungstatbestände beendet worden ist.

Das AG Köln hat mit Beschluss vom 03.12.2021 entschieden, dass für diesen Rechtsstreit die Gerichte für Arbeitssachen zuständig sind, weil zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis bestanden habe. Dagegen legte die Beklagte sofortige Beschwerde beim LAG Köln ein.

 

Die Entscheidung:

Das LAG Köln wies die sofortige Beschwerde der Beklagten als unbegründet ab. Das Amtsgericht Köln sei richtigerweise davon ausgegangen, dass im vorliegenden Fall die Gerichte für Arbeitssachen zuständig seien. Zur Begründung verweist das LAG Köln auf die Arbeitnehmereigenschaft des Klägers. Für die Annahme einer Arbeitnehmereigenschaft sei erforderlich, dass der Kläger im Dienste der Beklagten zu Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet war. Das werde anhand einer Gesamtbetrachtung aller Umstände vorgenommen. Für die Annahme einer selbstständigen Tätigkeit sprächen bspw. eine freie Zeiteinteilung, der Einsatz eigener Betriebsmittel, eigene Angestellte, das Tragen von unternehmerischem Risiko sowie die Möglichkeit, aus den erzielten Honoraren eine eigene Altersvorsorge aufzubauen. Bei dem Kläger lägen diese Indizien aber nicht vor, vielmehr sprächen folgende Tatsachen für seine abhängige Beschäftigung:

  • Fehlende Berechtigung zur freien Arbeitszeiteinteilung, weil dem Kläger die Arbeitszeit bis ins Detail vorgegeben war einschließlich der Lage und Dauer der Pausen.
  • Keine Möglichkeit des Klägers für weitere Auftraggeber in beachtlichem Umfang tätig zu werden und mithin werbend am Markt aufzutreten.
  • Keine Nutzung eigener Betriebsmittel. Der Kläger war in die Arbeitsabläufe der Praxis vollumfänglich eingegliedert und hat mit dem angestellten Praxispersonal arbeitsteilig zusammengearbeitet.
  • Kein Tragen eines nennenswerten unternehmerischen Risikos, weil der Kläger seine Vergütung von der Beklagten erhielt und er selbst auch keine Abrechnung gegenüber den behandelten Patienten vornahm, sondern dies ausschließlich durch die Beklagte erfolgte.
  • Die Gestaltung seines Arbeitsauftrages nach eigenem Ermessen innerhalb der vereinbarten Arbeitszeit sowie eine fehlende medizinische Weisungsgebundenheit sprechen nicht gegen das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses. Vielmehr resultiere das aus der Eigenart der Praxisvertretung. Zudem handeln Ärzte und Ärztinnen im Rahmen von medizinischen Heilbehandlungen und Therapien grundsätzlich unabhängig und eigenverantwortlich.

Fazit:

Der Beschluss des LAG Köln zeigt anschaulich, dass es für die Annahme eines sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnisses entscheidend auf die tatsächlich ausgeübte Tätigkeit ankommt und nicht darauf, was im Vertrag steht. Die Anforderungen der Rechtsprechung an eine selbständige Tätigkeit als Praxisvertreter:In sind hoch. Die geforderten „Freiheiten“ sind nur schwer in den laufenden Praxisbetrieb zu integrieren. Es ist daher davon auszugehen, dass auch in Zukunft die Praxisvertretung übernehmende Zahnärztinnen und Zahnärzte als sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmer:Innen angesehen wird. Den Praxisinhabern ist im Zweifelsfall bei einer Praxisvertretung dann eher zum Abschluss eines befristeten Arbeitsverhältnisses zu raten.

Dr. Daniel Combé und Ref. jur. Alicia Pott
CASTRINGIUS Rechtsanwälte und Notare